Niedersorbischer Stier und Bautzener Mauer. Die nationale Lausitzer Symbolik (im Vergleich zu anderen Identitätszeichen der „kleinen“ Slawen)
Die Gefährten des sorbischen Fürsten Denvan gingen in die Schlacht unter dem Kennzeichen ihres Herrschers. Die eigene Fahne hielt sicherlich auch der Häuptling der Milzener, Miliduch, der gegen Franken kämpfte. Alle anderen heidnisch-polabischen Fürsten mussten eigene Kennzeichen besitzen. Wie sahen sie aus? Waren sie ähnlich Tamgai oder den nordischen Runen? Es ist schwer zu sagen. Seit Anbeginn der Geschichte waren im Gebrauch Kennzeichen von Stammes- und Staatsherrschern, Provinzen und Religionsgemeinschaften. Solche Kennzeichen, die klare Merkmale eines Symbols vorweisen, waren zunächst Tier-Gestalten (…), später auch Gegenstände… „2. Aus ihnen entwickelten sich die Wappen im Mittelalter. Sie schmückten die Fahnen und Wimpeln. Sie wurden auf verschiedenen Teilen der Ausrüstung und auf den Karten platziert.
Auf den alten Karten der Lausitz erschienen manchmal Wappen und territoriale Zeichen der feudalen Zugehörigkeit. Eine solche Karte wurde zwischen 1715 und 1724 von Johann Hübner und Johann Baptist in Nürnberg entworfen. Eine lateinische Inschrift sagt: Totius Marchionatus Lusatiae tam superioris quam inferioris Tabula specialis in suos Comitatus et Dominatus distincta (Mapa calej Marchii Luiyc, tak Görnych, jak i Dolnych). Diese Inschrift wurde in der unteren linken Ecke platziert. Sie ist von mythischen Gestalten umgeben — Fortuna mit Füllhorn und Merkur in der Tracht eines römischen Soldaten. In der gegenüberliegenden Ecke auf der rechten Seite gibt es das Wappen der Ober- und Niederlausitz. Die Bautzener Mauer hat keine für sich charakteristischen drei getrennten Zinnen (behält aber die Farben — Blau und Gold). Ganz außergewöhnlich wendet sich der niedersorbische Stier in die linke (heraldische) Richtung. Barocke Amoretten halten die Krone der Kurfürsten von Sachsen. Im Hintergrund der verbundenen Wappen der Ober- und Niederlausitz erscheint eine idyllische Landschaft — ein Feld, auf dem die Bauern die Ernte einbringen und Wald‘.
Unter dem Zeichen der ehemaligen Markgrafschaften
Die Wappen, auf den wunderschönen mit Kartuschen und Ornamenten geschmückten Karten, sind Zeichen der Herren dieser Länder. Diese farbenfrohen, detaillierten Wappen mit Helmen, Kronen und Helmdecken repräsentieren das ritterliche Ethos und die Zivilisation des christlichen Mittelalters. Die Wappen beider sorbischen Markgrafschaften gehörten eigentlich zu der deutschen Heraldik… Sie entstanden nach dem Zusammenbruch der heidnischen kleinen Staaten der Sorben, die die Gebiete an der Elbe bewohnten.
Bautzener Zinnen
Das Wappen der Oberlausitz unterscheidet sich eigentlich nicht vom Bautzener Wappen. „In der irdischen Heraldik wurde extrem selten als Wappen des ganzen Territoriums das Stadtzeichen angenommen…“ – schreibt Wojciech Strzyiewski. Die Analogie ist wirklich schwer erkennbar. Vielleicht die fürstlichen Zeichen von Monaco? Dort ist das Staatswappen mit dem Wappen der Hauptstadt identisch (auch Monak genannt). Dasselbe Zeichen findet man auch seit Jahrhunderten im Wappen von San Marino und seiner Hauptstadt.
Das älteste bekannte Bild der Stadtmauer mit Zinnen erhält sich im Siegel der Stadt Bautzen (von 1283 — aus Stadtstempeln sollten die Stadtwappen entstehen5). Auf ihm ist ein Teil der Befestigungsanlagen mit markierten Schlägen und drei Zinnen zu sehen. Vom Jahr 1363 stammt das große majestätische Siegel, das der Kaiser Karl IV. für seinen Sohn und Nachfolger Wenzel IV. ausführen ließ. Auf dem Siegel erscheinen neben den Wappen der Ober- und Niederlausitz die Zeichen anderer Kronländer (nämlich der Tschechischen Republik, Luxemburg, der Städte und Grafschaften Sulzbach, Brandenburg und Schlesien). Damals wurde das Zeichen mit goldener Mauer auf blauem Feld zum Wappen Land Budissin.
Seit dem sechzehnten Jahrhundert fungierte dieses Wappen als Zeichen der Erde der Oberlausitz unter der tschechischen Krone, die damals Teil der Habsburger Monarchie war. Die Bautzener Mauer als Zeichen der Monarchie der Oberlausitz war auf dem Siegel des Kurfürsten von Sachsen Johann Georg II. (von 1657) zu sehen.
Das traditionelle Wappen des Bautzener Kreises (Kreiswappen) wurde als Folge der Verwaltungsreform im Jahr 1952 entfernt. Nach der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 gewann der Landkreis Bautzen (Wokrjes Budyfin) das alte Wappen als Wahrzeichen des Kreises (nur in der Gestalt des Schildes unterscheidet es sich von dem Zeichen von Bautzen).
Niedersorbischer Stier
„Der Stier spielt in der slawischen Mythologie eine sehr wichtige Rolle — verkörpert vitale Kräfte, Leistung, Energie, Wildheit, Mut in der Schlacht. Die Slawen brachten den Stier dem Sturmgott zum Opfer, weil der Stier sein Reittier war (…). Es kann davon ausgegangen werden, dass der Stier, der ein slawisches Symbol war, auch in der Lausitz als ein religiöses Zeichen verwendet wurde, das gleichzeitig als Kennzeichen diente. Das Bild des Stieres war einst das Wahrzeichen der ganzen Lausitz, und jetzt ist das Wahrzeichen der Niederlausitz“ — schrieb Patrycjusz Pająk.
Man würde denken, dass dieses Wahrzeichen — so fest im Boden der slawischen Lausitz eingebettet ist — auch ethnisch slawisch war. Im Gegensatz zum exotischen Löwen, den wir oft in der europäischen Heraldik finden, ist der Stier (oder Rind oder auch Büffel‘) ein einheimisches Tier wie ein Adler. Aber hat dieser Stier nur slawischen Ursprung? Ebenso ist der Bär heimisch, der auf dem Wappen von Berlin, der deutschen Hauptstadt, steht. Der Niedersorbischen Stier ist rot und befindet sich auf silbernem Feld. Er steht fest auf dem grünen Rasen (das betont weiter seine Vertrautheit, um nicht zu sagen — auch Rustikalität!).
Das Wappen der Niederlausitz durchlief viele Transformationen. Wie andere heraldischen Figuren (z.B. der polnische Adler und der tschechische Löwe) änderte auch der Stier seine Form, z.B. Zeichnung der Augen, des Maules und die Lage innerhalb des Schildes. Im Laufe der Jahrhunderte war der Schwanz — ansonsten höchst dekoratives Element — mehr oder weniger fantasievoll gewellt. Das Wappen hat sich stilistisch weiterentwickelt — abhängig von der aktuellen „heraldischen Mode“.
Das älteste erhaltene Wappen der Niederlausitz ist auf dem majestätischen Siegel von König Wenzel IV. vom Jahr 1363 zu sehen. Seitdem besitzt die Mark Niederlausitz bereits ihr eigenes Wappen – den Stier, der sich nach rechts auf einem silbernen Feld bewegte. Er erinnert an das Zeichen der Stadt Luk6w (dt. Luckau), die im Mittelalter eine der sieben großen nieclersorbischen Städte war. Seit 1492 wurde sie Hauptstadt der Mark Niederlausitz genannt. Das Wappen der Mark wurde also von dem Wappen aus Luköw übernommen. Es gibt also eine klare Analogie zur Geschichte der obersorbischen Zeichen.
Unter dem Emblem von Domowina
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand ein neues, informelles nationales Symbol. Das Emblem von Domowina skizziert „drei Blätter der Linde mit weißen Adern, die von einem Stengel wachsen. Der Stengel endet im unteren Teil mit acht Wurzeln“‚ . Diese Wurzeln wachsen aus der „Heimaterde“ (domizniska zemja). Der Linden-Zweig erscheint meist auf einer roten oder weißen Hintergrundfarbe. Die Autorin vom Emblem war die größte sorbische Grafikerin, Hanka Krawcec. Es wurde im Jahre 1949 entworfen. In demselben Jahr wurde tröjlistek das offizielle Emblem von Domowina. Das Emblem diente bald als „alternatives“ nationales Symbol. In der DDR erfüllte es die Funktion des inoffiziellen Nationalsymboles der Sorben. Man kann die Behauptung riskieren, dass es zu dieser Zeit die alten Wahrzeichen verdeckte. Es ist bezeichnend, dass in dem Artikel über die nationale Symbolik der Sorben Franc Raj sa9 nicht an den niedersorbischen Stier und an die Bautzener Zinne erinnert.
Das Emblem (tröjlistek) bezieht sich direkt auf die slawische Mythologie, in der die Linde als heiliger Baum verehrt wurde. Der Baum ist zusätzlich sehr häufig in der Landschaft der Lausitz zu treffen. Man kann ihn sogar als ein Symbol der Lausitz annehmen. (Deutschland assoziert man wiederum mit der Eiche). Man könnte also davon ausgehen, dass das Zeichen von Domowina das Höchstmaß der heimischen Tradition, eines authentischen nationalen Symbols ist — im Gegensatz zu den historischen Wappen der beiden sorbischen Länder. Die historischen Wappen erinnern an die Teilung in der Nieder- und Oberlausitz. Dagegen verbindet die Linde die beiden Nationen (auch symbolisch —unter ihren Blättern!). Traditionelle Wappen sind in einem gewissen Sinn „fremd“, weil sie in der Tat von Anfang an zur Sphäre der fürstlichen und königlichen Macht gehörten (und diese war entweder deutsch oder tschechisch). Sie stellten den im Mittelalter gebildeten, feudalen Charakter der territorialen Zugehörigkeit dar. Das Domowina-Emblem erschien in der mehr oder weniger von oben bestimmten nationalen Emanzipation. Größe und Bedeutung hatten slawische Konnotationen.
Unter der blau-rot-weißen Flagge
Die ganze Lausitz verbindet das Domowina-Emblem. Gleichzeitig vereinigt sie die blau-rot-weiße sorbische Nationalflagge (mödra-‚öerwjena-bNa). Sie verbindet nicht nur die Obersorben mit Niedersorben, sondern auch — mit den anderen Slawen. Die Reihenfolge der Streifen (blau, rot und weiß) ist horizontal — wie in vielen slawischen Flaggen. Dreifarbige Fahnen hat Russland, Kroatien, Serbien, Montenegro, Slowenien und die Slowakei. Diese Farben — wenn auch in einer anderen Reihenfolge — hat auch die Tschechische Republik (weiß-rote Flagge mit einem blauen Dreieck). Zum ersten Mal sollte die sorbische Nationalflagge im Jahr 1842 in dem Dorf Lazy erscheinen, wo die neuen Kirchenglocken geweiht wurden. Der örtliche Pfarrer — romantischer Dichter Handrij Zejler —feierte sorbisches tricolore mit dem Gedicht Serbske Barby (Serbskie barwy). Die Flagge wurde schließlich in den Jahren 1848-1849 festgelegt, d.h. während der Frühjahrstagung der Nationen und der nationalen Wiedergeburt. Sie stellte das einzige nationale Symbol des neunzehnten Jahrhunderts von Erneuerungsaktivisten — wötelncow («patriotöw») dar.
Die Behörden des kaiserlichen Deutschlands schauten ungern die Verwendung der sorbischen Nationalflagge an. Manchmal aber ist es gelungen sie auszuhängen. Es geschah am Tag der Einweihung des Lausitzer Hauses in Bautzen (am 26.IX.1904). Die sorbischen Farben erschienen oft in den Jahren der Weimarer Republik. Die blau-rot-weiße Flagge wurde von Nazis im Jahre 1935 verboten.
Zdzisław Kłos